„DAS MARIENLEBEN“

Albrecht Dürer

1502–1510

Der Marienkult war im späten Mittelalter und in der Epoche der Renaissance außerordentlich verbreitet. Das Evangelium beleuchtet das Leben der Mutter Gottes kaum, und deshalb stützten sich Autoren des 13. und 14. Jahrhunderts, die echten Begründer der Legende vom Leben Marias, auf die Apokryphen, die nicht in den Bibelkanon eingegangen sind. Dürer und seine Zeitgenossen entlehnten Sujets aus „Speculum historiale“ von Vincent de Beauvais und „Legenda Aurea“ des Jacobus de Voragine.

Der Zyklus besteht aus 19 Graphiken und einem Titelblatt. Er ist in der Technik des Holzschnitts ausgeführt. Die ersten 17 Graphiken entstanden vor der zweiten Italienreise Dürers. „Mariä Himmelfahrt, “ „Krönung“ und „Die Jungfrau auf der Mondsichel“ datieren um 1510. Einige Forscher meinen, dass Dürer in drei Etappen am Zyklus arbeitete, mit der Begründung, dass er auf die Reise durch die Niederlande 1520 bis 1521 die nur aus 13 Blättern bestehende Folge mitnahm.

Erstmals wurde der Zyklus 1511 herausgegeben. Er erschien mit einem lateinischen Text auf der Rückseite. Bis zur Herausgabe der gesamten Folge machte Dürer nur einige Erstdrucke. Nach dem Tod des Künstlers wurde der Zyklus im 16. Jahrhundert mehrfach nachgedruckt.

Der Zyklus „Das Marienleben“ lenkt mehr als jedes andere Werk Dürers den Betrachter auf das wirkliche deutsche Leben zu Beginn des 16. Jahrhunderts. Die Figuren der apokryphischen Legende wurden konkreter. Der Künstler verlieh den Helden Züge von Zeitgenossen und verortete alle Szenen in einem realen Milieu. Biblische Ereignisse in die Situation des zeitgenössischen Lebens zu übertragen, war häufige Praxis in der Kunst Italiens, besonders im 15. Jahrhundert. Ein solches Herangehen wurde von Kindheit an anerzogen. Zum Beispiel hieß es in der „Anleitung für junge Mädchen“, publiziert 1494 in Venedig: „ Um sich die Passionsgeschichte Christi besser vorstellen zu können… ist es sehr nützlich und sogar notwendig, sich in seiner Phantasie klar umrissen die Orte, wo das alles geschah, und auch die handelnden Personen vorzustellen… Danach müsst ihr in eurer Erinnerung die Gestalt einiger euch gut bekannter Menschen wiedererstehen lassen, um sich die Personen klar vorzustellen…“ (Данилова И.Е. От Средних веков к Возрождению. Mосква, 1975. С. 115–116 / Danilowa I.J. Vom Mittelalter zur Renaissance). Dürer war zweifellos vertraut mit einem solchen Herangehen an die Darstellung biblischer Szenen und folgte diesen Empfehlungen.

Die Drucke der Folge „Das Marienleben“ in der Kollektion des Museums werden dem Zustand der Stöcke nach als einige der besten angesehen. Unter ihnen sind acht Blätter den seltenen Erstdrucken zugehörig, die vor der Ausgabe von 1511 gemacht worden sind, und sie sind einzigartig. Einige Blätter sind mit der Ausgabe im Jahr 1511 verbunden, die restlichen datieren Ende des 16. Jahrhunderts.